5. März 2006

Der Fuchs

Der Fuchs, der Schlaue

© 2003 by Christian H. Leeb

Der Fuchs, von dem alle behaupten, dass er schlau sei, kannte sich tatsächlich in vielen Dingen sehr gut aus, oder zumindest besser als so mancher andere Waldbewohner. Unser Fuchs fühlte sich zudem noch schlauer als alle anderen Füchse, das heißt, als all die anderen Füchse, denen er bisher begegnet war.

Eines Tages – es war mitten im Hochsommer – kam er bei seinen täglichen Streifzügen durch den Wald, den er seit er sich erinnern konnte bewohnte, an eine Lichtung, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Die Wiese auf der Lichtung war saftig grün mit vielen Blumen in allen Farben und Formen und Größen durchwachsen, es roch intensiv nach Sommer und guter Laune, und die Sonne langte gierig mit ihren warmen Strahlenarmen nach dem Fuchs, dem schlauen. Der Unterschied zum finsteren, kalten, nassen Wald, den der Fuchs, der schlaue, bisher kannte, konnte kaum größer sein. Mit einem Mal wusste der Fuchs, der schlaue, dass diese Blumenwiese das Höchste aller Gefühle, das Allerschönste alles Schönen und das Erstrebenswerteste alles Erstrebenswerten in einem Fuchsleben ist.

Da unser Fuchs, der schlaue, nun mit eigener Kraft – also ohne fremde Hinweise oder sonstiger Unterstützung der anderen Füchse - diese Blumenwiese gefunden hatte und weil er ein Fuchs war, der seine Freude darüber durchaus mit anderen Füchsen teilen wollte, meinte er, dass er auserkoren sei, die Blumenwiese auch den anderen Füchsen des Waldes mitzuteilen, damit diese die Blumenwiese ebenfalls erleben konnten.

Und weil er es nicht mehr aushielt vor lauter Freude und Glücksgefühl, schrie er auf der Blumenwiese nach Leibeskräften nach seinen Gefährten und schrie und schrie, wie schön es hier doch sei und dass alle kommen sollen. Der Fuchs, der schlaue, schrie zwei Tage und zwei Nächte lang durch. Aber so sehr er auch schrie, es kam niemand. Nach zwei Tagen und Nächten war er heiser und er musste aufhören zu schreien.

Traurig, weil ihn niemand gehört hatte, überlegte der Fuchs, der schlaue, wie er es schaffen könne, die anderen Füchse zu der Blumenwiese zu bringen. Und so machte er sich auf den Weg, seine Gefährten zu suchen, merkte sich, so gut es ging, die Position der Blumenwiese und stapfte in den finsteren Wald zurück.

Es dauerte nicht lang, da begegnete er dem alten, grauen Fuchs. Er kannte ihn schon von Kind an und er hatte auch sehr viel von ihm gelernt. Der Fuchs, der schlaue, erzählte dem alten, grauen Fuchs von der Blumenwiese mit all den Worten, die er finden konnte und die ihm angebracht erschienen. Doch so sehr er sich auch bemühte und je länger er auch erzählte, der alte, graue Fuchs wollte ihm keinen Glauben schenken. Anfangs hatte er noch nachgefragt, wollte das eine oder andere genauer wissen. Mit zunehmender Unterhaltung wurde der alte, graue Fuchs aber immer stiller und stiller, bis er gar nichts mehr sagte. Sein Gesichtsausdruck wurde immer gelangweilter, bis er ganz ins Missfallen überschwappte, so offensichtlich, dass es auch unser Fuchs, der schlaue, bemerkte und mitten im Satz aufhörte. Er sah ein, dass jedes weitere Wort umsonst war. Trotzdem fand er noch eine Möglichkeit, sich so halbwegs freundlich vom alten, grauen Fuchs zu verabschieden. Traurig und zornig zugleich ging er schnell weiter, ohne zunächst jedoch auf die Richtung zu achten. Mit den alten, grauen Füchsen ist es doch immer dasselbe, dachte er. Sie sind einfach schon zu lange auf dieser Welt, sie werden uneinsichtig, starrköpfig, inflexibel und rechthaberisch. Sie glauben einem anderen Fuchs einfach nicht, nur weil der eben jünger ist. Bei diesen Gedanken musste der Fuchs, der schlaue, wieder etwas schmunzeln, und Mitleid stieg in ihm hoch bis zur Nasenspitze. Er blieb stehen, atmete tief durch und überlegt, was er nun tun könne.

Weil ihm nichts einfiel, stapfte er einfach gerade aus weiter, auch tiefliegende Äste konnten ihn nicht davon abbringen. Sein Gesicht wurde zerkratzt, aber er spürte keinen Schmerz. Er ging zwei Tage und zwei Nächte lang, dann fiel er vor lauter Müdigkeit um, wo er gerade war und schlief. Er schlief tief und fest. Zwei Tage und zwei Nächte lang.

Am dritten Tage stand er auf und trottete, tief in Gedanken versunken, in die Richtung weiter, die er zufällig beim Aufstehen eingeschlagen hatte.

Es dauerte nicht lange, da nahm der Fuchs, der schlaue, die Spur eines anderen Fuchses auf. Und nur wenig später hatte er den anderen Fuchs gefunden. Der andere Fuchs, der faule, lag bei einem umgefallenen Baum und träumte so vor sich hin. Nur mühsam hob er sein Haupt, als der Fuchs, der schlaue, auftauchte, murmelte ein paar Worte scheinbar zum Gruß und war knapp dran, wieder in ein tieferes Schlafniveau zu versinken. Der Fuchs, der schlaue, aber redete sofort auf den Fuchs, den faulen, ein und schwärmte von der Blumenwiese. Er hatte sich ja die Tage zuvor die Worte trefflich überlegen können und die Argumente wohlweislich gesammelt. Doch weil der Fuchs, der faule, sich gar nicht bewegte, versuchte der Fuchs, der schlaue, ihn mit allen möglichen Griffen zu schnappen und heben, und trug und schubste und stieß ihn vor sich her. So zerrte er den Fuchs, den faulen, immer näher in Richtung Blumenwiese, und der Fuchs, der faule, ließ es sich gefallen. Mit der Zeit kam es dem Fuchs, dem schlauen, eigenartig vor, dass sich ein Fuchs so ohne Widerstand von einem anderen schleppen ließ. Er hielt an, schaute den Fuchs, den faulen, genauer an und bemerkte, dass dieser verstorben war. Da hielt der Fuchs, der schlaue, inne und weinte, einmal um den anderen Fuchs und einmal darum, dass er die offensichtliche Krankheit mit Faulheit verwechselt hatte. Dem Fuchs, dem schlauen, graute gar fürchterlich. Er malte sich aus, dass er den Tod des Fuchses, des faulen – nein: des kranken – herbeigeführt haben könnte. Dabei wollte er ihn doch nur auf die Blumenwiese führen. Er weinte zwei Tage und zwei Nächte lang, dann hatte er keine Tränen mehr.

Er stand auf und trabte langsam und nachdenklich weiter im Wald umher. Doch er war ausgelaugt und ausgebrannt, und nach nur wenigen Schritten musste er sich wieder hinlegen. Sofort schlief er ein. Wie er wieder zu sich kam, schauten viele Fuchsaugen auf ihn runter. Ein ganzes Fuchsrudel hatte ihn entdeckt. Sonderbar, früher wäre ihm das nicht passiert, er wäre sicher viel früher aufgewacht. Glücklicherweise waren es keine feindlichen Tiere. Er stand auf und erkundigte sich nach dem Befinden jedes einzelnen Fuchses. Was sie wann und wo getrunken und gegessen hatten, welche Probleme und Sorgen sie haben, welche neuen Möglichweiten und Herausforderungen sie annehmen wollten. Er hörte aufmerksam zu, unterbrach nie und merkte sich alle Einzelheiten. Als es Zeit war, stand er auf und ging mit dem Rudel einfach mit. Einmal ging er an der Spitze und bestimmte indirekt den Weg mit, einmal wartete er auf den Fuchs am Schluss und ermunterte ihn, doch nicht aufzugeben und trotz Müdigkeit weiterzugehen. So lief der Fuchs, der schlaue, hin und her. Es mochten wohl zwei Tage und zwei Nächte gewesen sein, als plötzlich von der Ferne ein Lichtstrahl in den dunklen Wald hereinbrach. Die Füchse hielten inne und beratschlagten, was sie nun tun sollten. Der Fuchs, der schlaue wartete, lächelte unmerklich überlegen, sagte jedoch nichts. Die Füchse kamen nach einer kurzen Diskussion zum Schluss, dass sie weiter auf diesen Lichtstrahl zugehen wollten. Und so geschah es, dass der Fuchs, der schlaue, gemeinsam mit dem Fuchsrudel auf die Lichtung zusteuerte. Schon wollte er der Versuchung unterliegen und seine Erlebnisse von der Lichtung erzählen, aber irgendwie beherrschte er sich, wahrscheinlich, weil er den anderen Füchsen nicht ihre Vorfreude abrupt nehmen wollte, die sich allmählich und mit jedem Schritt mehr in ihren Herzen breit machte. Nur noch wenige Schritte und sie waren an der Lichtung. Alle Füchse wurden schneller und schneller und stürmten auf die Lichtung. Sie spielten und tollten in der Wiese, die Sonne lachte wieder herunter. Die Füchse hatten mächtig Spaß daran.

Der Fuchs, der schlaue, aber war nachdenklich am Rand der Lichtung stehen geblieben. Staunend erkannte er, dass sie auf einer neuen Lichtung herausgekommen sind, wieder eine Lichtung, die er noch nie gesehen hatte.

Und dann lächelte er weise und tollte mit den anderen Füchsen herum und freute sich über alle Maßen.

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