5. März 2006

Der Fuchs - 1. Fortsetzung

Der Fuchs und der Käfer

© 2004 by Christian H. Leeb

„Haltet ein!“ schrie der Käfer in Todesangst, „Haltet ein!“. Noch immer schnappte der Fuchs, der schlaue, nach dem Insekt, das ihn schon längere Zeit auf seinem Weg durch den Wald umschwirrte und das ihm nicht erst jetzt lästig wurde.

„Ich bin ein Berater, ich kann Dir von Nutzen sein!“, schrie der Käfer weiter. Nun, Berater, das klang dem Fuchs, dem schlauen, ja vertraut, und so entschied er, er könne den Käfer ja am Leben lassen – eine Zeit zumindest.

„Na, was berätst Du denn?“, fragte der Fuchs, der schlaue.

Nach kurzem Durchatmen antwortete der Käfer: „Ich bin Spezialist von Istanalysen.“

„Das heißt, Du sagst den Leuten, was ist?“, hakte der Fuchs, der schlaue nach.

„Genau“, antwortete der Käfer. „Ich bin da in einem ganzen Beraternetzwerk von Insekten und kann daher jede noch so knifflige Istsituation analysieren.“

„Typisch“, dachte der Fuchs, der Schlaue, „Insekten, wenn ich das schon höre!“. Laut sagte er aber, in einer Balance von Widerwillen und Interesse: „das schaue ich mir an, von wegen Istanalyse!“

„Willst Du mit einigen von uns Beratern diskutieren? Dann könnten wir Dir beweisen, wie gut wir sind“, bohrte der Käfer nach. Er hatte ganz das Gefühl, er müsse einfach mit dem Fuchs im Gespräch bleiben, um ihn nur ja vom Schnappen abzuhalten. Vielleicht würde daraus ja sogar ein Geschäft werden. Ja, so ist das Beraterdasein manchmal: zuerst entrinnt man nur knapp dem Tod und dann hat man einen fetten Auftrag. Jetzt musste der Käfer zum ersten Mal nach der Fuchsattacke wieder schmunzeln.

Der Fuchs war einverstanden, und so trotteten Sie auf die Blumenwiese, um sich mit den anderen Berater-Insekten zu treffen.

Der Käfer stellte die anderen vor. Da war die Biene, die sich auf das Sammeln und Auswerten von Datenmaterial spezialisiert hat und die Fliege, die einen Riecher für faule Situationen hat und natürlich er selbst, der Käfer, der laufend und fliegend alle Werte einfängt und vor allem die anderen Berater koordiniert und die Ergebnisse schön für die Kunden aufbereitet.

„Also, wie macht ihr das nun methodisch mit Eurer Beratung?“, fragte der Fuchs lässig.

„Ich“, sagte die Biene, „ich mache viele Schnappschüsse. Ich fotografiere die Situationen, ich zeichne alle Werte auf. Dann analysiere ich und gebe meine Eindrücke meinen Kunden zurück“.

Der Fuchs, der schlaue dachte jedes einzeln gehörte Wort nickend durch. Dann sagte er:

„Wie kannst Du über komplexe Situationen nur Schnappschüsse machen. Wenn Du eine Situation einmal aufnimmst, dann sagt das ja gar nichts über die ganze Situation; dann ist das doch eher zufällig, was Du aufnimmst, oder? Das kommt ja ganz und gar auf Deinen Blick an, auf das Motiv, das Dir zufällig vor die Kamera tritt; auf den Zeitpunkt, an dem Du abdrückst.“

Dem Fuchs war die Methode mehr als suspekt. Aber noch ehe die Biene erwidern konnte, fuhr der Fuchs, der schlaue fort: „Und wenn Du den Verschluss Deines Fotoapparats, Deines ‚Schappschussapparates’ länger offen hast, dann nimmst Du zwar die Situation über eine größere Zeitspanne auf, aber das Bild wird doch total verschwommen! Es ist doch nicht so, dass die Situation, die Du analysierst, ruhig bleibt. Die verändert sich doch dauernd. Wie kannst Du da überhaupt eine Istanalyse machen? Die ist ungenau und verschwommen; die stimmt schon nicht, ehe Du mit Deiner Arbeit fertig bist.“

„Das sag ich auch immer“, schaltete sich nun die Fliege ein. „Ich mach das anders. Ich filme. - Ihr habt richtig gehört: Ich mache keine Einzelbilder, sondern ich filme die ganze Zeit die Situationen. Meine Filme aus der Fliegenperspektive geben meinen Kunden immer einen guten Überblick, weil ich ja auch dauernd herumfliege“. Überlegen wartete die Fliege auf zustimmende Diskussionsbeiträge.

Aber der Fuchs, der schlaue, hatte auch hier sofort seine Bedenken: „Wenn Du filmst, dann muss ja Dein Kunde Deine Filme ansehen, das braucht doch dieselbe Zeit, wie die Zeit, die auf dem Film vergeht. In dieser Zeit verändert sich die Situation, die Du gefilmt hast, ja wieder. Du weißt also sehr wenig über die Situation“.

„Wenn wir noch zu wenig wissen“, warf die Biene ein, „dann sammeln wir nur um so fleißiger noch mehr Material, und dann noch mehr und noch mehr! Das war schon immer so bei Istanalysen. Und der Kunde sammelt auch. Bis wir genügend Informationen haben.“

„Wir wissen dann schon, wie es ist“, meinte trotzig die Fliege.

„Wie es war!“ korrigierte der Fuchs, der schlaue. „Oder, wie ihr glaubt, dass es war“, noch präzisierend.

Der Käfer saß die ganze Zeit still und dachte betroffen nach. Irgendwie hatte der Fuchs ja Recht: „Das hieße ja, dass Istanalysen überhaupt unmöglich sind?!“, formulierte er halblaut.

Der Fuchs, der schlaue schaute ihn mitleidsvoll an.

„Und warum machen dann alle, Kunden wie Berater, dauernd Istanalysen?“ hakte der Käfer attackierend nach und schaute in die schweigend-betroffene Runde.

Der Fuchs stand auf und machte sich wieder auf den Weg. „Noch viel schlimmer ist, dass die, die die Istanalysen machen, den Blick trüben und sich selbst den Horizont nehmen, um mögliche Sollszenarien zu entdecken. Damit rauben sie sich und anderen die Chance, Zukunft aktiv zu gestalten“. Aber das dachte er nur mehr für sich. Die Insekten-Berater würden ihn ja doch nicht verstehen.

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