21. März 2008

Community Marketing

Beitrag anläßlich DICOM-Konferenz am 13.3.2008 in Baden

Ouverture

Wir sind über Jahrzehnte gewohnt, die Welt aus lauter Objekten bestehend zu betrachten. Wir teilen sie ein und auf: in Atome und Moleküle, in Lebewesen und Gegenstände, in Körper und Geist, in Kunden und Lieferanten, in Abteilungen, in Stellen und Rollen.

Diese Abgrenzungen haben sich ja auch jahrelang bewährt, weil es so etwas wie ein riesengroßes Schubladensystem ergibt und Ordnung generiert. Und diese Art von Ordnung gibt vielen Menschen auch heute noch Anhaltspunkt und Sicherheit.

Auch unsere Sprache ist so aufgebaut, z.B. das Wort „Gegen-Stand“ zeigt, dass etwas mir entgegensteht, also etwas anderes ist als ich – oder das Wort „Abteilung“ bedeutet ja, dass wir die Firma abgeteilt haben.

Aus dieser Perspektive haben wir auch ein Kommunikationsmodell, das aus Sender und Empfänger, Kanal und Nachricht besteht.

Wenn wir nun beide Sichten verbinden, ist es klar, dass Informationen über unser Unternehmen und unsere Produkte von uns konzipiert und geschrieben werden und dann über unterschiedliche Kanäle an den Kunden herangetragen werden.

Sales-Leute suchen das persönliche Gespräch in Telefonaten und Meetings, Marketing-Leute nutzen Briefe, e-mails, TV- und Radiospots, um möglichst kostengünstig möglichst viele potentielle Kunden zu erreichen.

Und in derselben Logik versuchen wir die Kunden in Zielgruppen aufzuteilen und jeder Zielgruppe die unserer Meinung nach am besten geeignete Information zukommen zu lassen.

Aus Sicht des Kunden stellt sich dies aber ganz anders dar. Er wird fast überall mit Werbung bombardiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde genau zur Zielgruppe gehört und gleichzeitig aufmerksam ist und gleichzeitig auch aufnahmefähig und –willig ist, ist denkbar gering und fast schon Zufall.

Auch wenn wir dem Kunden die Möglichkeit geben, mit uns in Dialog zu treten, dann sind es unsere Spielregeln und unsere Kanäle, die wir ihm freigeben.


Menuett

Schauen wir uns kurz an, was im Internet derzeit passiert und seit einiger Zeit Web2.0 genannt wird.

Für mich persönlich ist interessant, dass sich nun Menschen untereinander im Internet vernetzen und gemeinsame Sache machen. Dies kann ganz unterschiedliche Schwerpunkte und Ausprägungen haben.

Sie speichern Fotos auf www.flickr.com und Videos auf www.youtube.com, sie haben ihre Powerpoint-Vorträge auf www.slideshare.com, sie machen gemeinsame Mindmaps mit www.mindmeister.com, sie sagen, welche Bücher sie lesen und welche sie wie gut finden auf www.goodreads.com, sie bewerten Restaurants und Locations auf www.qype.com, sie speichern ihre Bookmarks auf http://del.icio.us , sie bloggen, was das Zeug hält, wie man sich unschwer auf www.technorati.com, der Blogsuchmaschine, überzeugen kann.

Jeder, der will, kann mit fast keinen Kosten, eigentlich nur mit seiner persönlich Zeit, die er investiert, etwas von sich preisgeben.

Warum machen so viele Menschen das bloß?

Weil Menschen eben so sind. Wenn wir uns kurz das Internet wegdenken, dann machen sie es ja so auch. Sie treffen sich mit ihren Freunden, sie tauschen sich aus, erzählen von Erlebnissen, schauen sich Fotos und Filme an, diskutieren, bewerten, haben Spaß, singen, tanzen und gehen ihren Hobbys nach.

Warum soll das im Internet nicht oder ganz anders sein? Wäre eigentlich unlogisch.

Jetzt kommt aber der springende Punkt, das Neue, der „Community-Effekt“, wie ich ihn zu nennen pflege.

Wenn nun viele Menschen etwas von sich gegeben haben, dann kann das Internet einfach nachsehen, welche Menschen ähnliche Dinge tun und versuchen diese Menschen gegenseitig vorzustellen. Aus Benutzersicht hab ich die Chance durch die Preisgabe meiner Interessen neue Freunde zu finden. Ich nenne das „passives Kontaktieren“. Wie hätten wir das ohne Internet machen können? Gar nicht oder mit einem enormem Aufwand.

Und auch hier gibt es keine Grenzen an Einfallsreichtum. www.weblin.com verbindet die Menschen, die zufällig gerade dieselbe Website ansurfen. Auf www.twitter.com sagen die Menschen freiwillig was sie gerade machen und andere können das Buchen wie einen Newsletter, auf www.couchsurfing.com bieten Menschen anderen ihre Gästebetten zum Übernachten an. Klarerweise lernt man so viel besser eine fremde Stadt kennen, weil sich der Gastgeber meistens auch um einen kümmert.

Und dann gibt es noch das „aktive Kontaktieren“ auf „social networks“. Ich melde mich an, gebe die e-mails von Menschen an, die ich bereits kenne und lade sie über das System ein. Wer will, nimmt diese Einladung an und ist dann mit mir verbunden.

Interessant ist, dass die Anzahl der Kontakte exponentiell wächst, d.h. wenn alle meine Kontakte wiederum ihrerseits Kontakte einladen, dann sind die Kontakte meiner Kontakte schon sehr sehr viele, die Kontakte meiner Kontakte meiner Kontakte noch sehr viel mehr, usw.

Sie können sich davon auch selbst überzeugen. Gehen Sie auf www.xing.com oder www.linkedin.com, auf www.myspace.com oder www.facebook.com, verwenden sie www.plaxo.com oder andere social networks. Suchen Sie mich und schauen Sie sich meine Kontakte an.

Diese exponentielle Kurve bedeutet, dass ich von jedem beliebigen anderen Menschen auf dieser Welt nur durch maximal sechs Menschen dazwischen getrennt bin („six degrees of seperation“)

Stellen Sie sich das vor! Sie können jeden Menschen erreichen in dem Sie Ihre Kontakte ersuchen, den Kontaktwunsch weiterzureichen. Und nach nur sechs Stufen sind Sie am Ziel!


Finale Furioso

Was bedeutet das nun fürs Marketing? Können wir nun in diesen Communities einfach unser in der Ouverture beschriebenes Modell anwenden? Können wir Community als neuen Kanal verwenden?

Natürlich nicht. Wenn Sie das versuchen, wird Sie die Community sehr schnell rauswerfen. Und zwar nicht der Betreiber der Community, sondern die Menschen, die Sie mit Ihrer Art Werbeinhalte zu pushen, verärgern. Sie löschen einfach Ihre Verbindung zu Ihnen.

Klar ist, dass jede Firma natürlich Informationen von sich preisgeben muss. Diese Informationen müssen aber sehr authentisch sein, der Wahrheit entsprechen. Und jede Firma muss sich bemühen, dass ihr Produkt das Leistungsversprechen nicht nur erfüllt, sondern die Kunden so richtig begeistert. Ist dies der Fall, fängt die Community an, darüber zu berichten: in blogs, in votings, in chats, egal wo. Und wenn die Commmunity irgendwo anfängt zu reden, dann breitet sich diese Information ebenfalls exponentiell aus.

Wenn ich das nun bis zum Ende denke, dann behaupte ich, dass es dann Marketing in der uns heute bekannten Form nicht mehr geben wird.

Die Meinungsforschung ist immer im Netz. Ich muss nur zuhören.

Public Relations ist gar nicht mehr notwendig. Die Leute reden sowieso. Und wenn sie es nicht tun, dann kann ich auch mit enormem Aufwand sie nicht dazu bringen. Im Gegenteil. Meine potentiellen Kunden fühlen sich gestört und wenden sich ab. Im schlimmsten Fall warnen sie ihre Freunde im Netz sogar vor Ihrer Firma.

Firmen-Homepages werden anders sein müssen. Sie müssen Informationen bieten, Self-Service ermöglichen, wirkliche Menschen der Firma erreichbar machen, usw. Der alte Weg, sich selbst darzustellen und dann die Webadresse zu pushen, ist nicht zielführend.

Weil sich Inhalte und Aufgaben von Marketing so sehr und rapide ändern, wird es sinnvoll sein, einen neuen Begriff dafür zu wählen. Marketing, wie wir es heute verstehen, hat keine Überlebenschance; und den alten Begriff mit den vielen neuen Inhalten aufzuladen, wird schwer sein.

Ich sehe in der Tatsache, dass andauernd versucht wird, neue Begriffe zu generieren, fast schon so etwas wie einen Beweis für meine Aussage.

Diese Begriffswelt funktioniert nach dem alten Muster aus unserer Ouverture: wir diskutieren, was der Unterschied zwischen strategischem, operativem und analytischen CRM (CRM=Customer Relationship Management) sei, inwieweit Dialogmarketing und Dirketmarketing sich ergänzen, überlappen oder decken, usw. und vergessen wieder einmal wegen unserer ständigen Nabelschau auf unsere Kunden.

Die haben sich schon längst in den Communities organisiert.

Wenn Banken nur dann Kredite vergeben, wenn sie Sicherheiten in mindestens derselben Höhe bekommen, wird die Community es lösen, weil Bank heißt, dass einer Geld braucht, und ein anderer Geld hat und herborgt.

Wenn Versicherungen Schäden nicht mehr versichern oder die Versicherungssummen raufschrauben, dann wird die Community dies in Eigenregie ohne viele Mitarbeiter und Glaspaläste tun, denn Versicherung heißt, dass die Gemeinschaft zahlt, wenn einem etwas Außergewöhnliches zustößt.

Wenn Zeitungen den Geschmack der Leser nicht treffen, dann macht die Community die Zeitung, weil Zeitung machen heißt, Informationen über Ereignisse zeitnahe zu berichten. Und irgendwer aus der Community ist mit Handykamera sicher in der Nähe eines Ereignisses und durch Abstimmen in der Community bestimmt diese selbst die Schlagzeilen.

Die Liste ist endlos. Alle Branchen und Berufe werden sich umorientieren müssen.

Wie schnell das gehen wird, das ist natürlich unklar. Noch sind die Communities fragmentiert, noch ist das Thema sehr neu, noch können Sie spekulieren – je nach Alter – ob sich die Pensionierung noch ausgeht und Sie sich vorher nicht damit auseinander setzen müssen.

Sie können sich aber auch einfach auf den Weg machen und neu-gierig wie Kinder diese neue Welt entdecken und be-greifen lernen. Vielleicht begegnen wir uns ja dann im Netz. Ich würde mich freuen!

Ihr

Christian H. Leeb

2 Kommentare:

  1. Und es wird Menschen geben, die diesen Zug verpassen und dann sagen: "Früher war alles besser". Nein, heute ist alles besser, weil wir Möglichkeiten haben, wie nie zuvor.

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  2. Sehr guter Denkansatz! Von dieser Seite habe ich das als Sicherheitsmensch noch gar nicht betrachtet! Vielen Dank für´s Augenöffnen!

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